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Das Versöhnungsabkommen mit Namibia bestätigt, dass Kolonialverbrechen Genozid darstellen


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    Denkmal zur Erinnerung an den von deutschen Kolonialtruppen begangenen Völkermord an den Herero und Nama (etwa 1904-1907) im Zentrum der namibischen Hauptstadt Windhoek. Die Inschrift laut übersetzt etwa: „Ihr Blut nährt unsere Freiheit“.

    Denkmal zur Erinnerung an den von deutschen Kolonialtruppen begangenen Völkermord an den Herero und Nama im Zentrum der namibischen Hauptstadt Windhoek (dpa/Jürgen Bätz)

    Fast sechs Jahre brauchten die Regierungsdelegationen aus Namibia und Deutschland, um sich auf ein Versöhnungsabkommen zu verständigen. Mit der Einigung erkennt Deutschland nun die Verbrechen des Deutschen Reiches als Kolonialmacht und den Massenmord an zehntausenden Herero und Nama als Genozid an. Ihre Nachkommen will die Bundesrepublik offiziell um Vergebung bitten und mit Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe unterstützen.

    Gebeine von Opfern des Völkermords an den Herero und Nama im damaligen "Deutsch-Südwestafrika" liegen am 29.08.2018 in Vitrinen in Berlin

    "Das Abkommen mit Namibia kann nur ein Start sein"
    Deutschland erkennt seine Kolonialverbrechen an den Herero und Nama als Völkermord an. Für den deutsch-namibischen Grünen-Politiker Ottmar von Holtz war das überfällig und nur ein erster Schritt.

    "Ich bin froh und dankbar, dass es gelungen ist, mit Namibia eine Einigung über einen gemeinsamen Umgang mit dem dunkelsten Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte zu erzielen", sagte Bundesaußenminister Heiko Maas bei der Bekanntgabe des historischen Abkommens Ende Mai. Deutschland ist damit die erste frühere Kolonialmacht, die ein solche Vereinbarung mit einer ehemaligen Kolonie schließt.

    Im Parlament in Namibia stand für Dienstag (21.09.21) die Ratifizierung des umstrittenen Aussöhnungs-Abkommens mit Deutschland an. Doch die Proteste gegen das Abkommen dauern an.

    Was ist der historische Hintergrund?

    Das Deutsche Reich war von 1884 bis 1915 Kolonialmacht im heutigen Namibia, damals unter dem Namen Deutsch-Südwestafrika. Die Herrschaft der deutschen Besatzer war geprägt von Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt. Diese gipfelte in der brutalen Niederschlagung der Aufstände von zwei Volksgruppen: der Herero und Nama.

    Der Aufstand der Herero begann im Januar 1904. Ausgangspunkt waren unter anderem Streitigkeiten mit deutschen Siedlern, die immer mehr Land für sich beanspruchten, und die rassistische Unterdrückung durch die Kolonialverwaltung. Sechs Monate später, im Juli 1904, begannen auch Gruppen der Nama, sich gewaltsam gegen die Kolonialherren zu wehren.

    Am 2. Oktober gab der Gouverneur und Oberbefehlshaber von Deutsch-Südwestafrika, Lothar von Trotha seinen "Vernichtungsbefehl" aus. Darin kündigte er an, dass die Herero das Gebiet der Kolonie zu verlassen hätten. "Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen."

    In dem bis 1908 andauernden Krieg töteten die deutschen Truppen etwa 65.000 von 80.000 Herero und mindestens 10.000 von 20.000 Nama. Das jetzt erfolgte Schuldeingeständnis Deutschlands bezieht sich auf diesen Massenmord, der als der erste Genozid des 20. Jahrhunderts gilt.

    Was sind die Kernpunkte des Abkommens?

    Das Abkommen erfüllt die drei Forderungen, mit denen Namibia in den Verhandlungen mit Deutschland gegangen ist:

    1. Die Anerkennung der Verbrechen an den Herero und Nama als Völkermord,
    2. eine Entschuldigung des deutschen Staates und die Bitte um Vergebung beim namibischen Staat und den Nachkommen der Opfer
    3. Entschädigungszahlungen.

    Bereits seit 2015 verwendet das Auswärtige Amt den Begriff des Völkermords in seinem allgemeinen Sprachgebrauch für den Vernichtungskrieg in Namibia. Jetzt werden die Gräueltaten auch ganz offiziell als Völkermord bezeichnet. Die offizielle Bitte um Vergebung soll Berichten zufolge durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einem feierlichen Akt im Parlament von Namibia ausgesprochen werden.

    Michelle Müntefering (rechts), Staatsministerin im Auswärtigen Amt, und Katrina Hanse-Himarwa, Kulturministerin von Namibia, bei einer Pressekonferenz zur Rückgabe sterblicher Überreste von Herero und Nama an Namibia.

    Weitgehende Einigkeit bei Verhandlungen mit Namibia
    Über den Genozid deutscher Kolonialtruppen an den Herero und Nama verhandeln Deutschland und Namibia seit 2015. Beide Staaten bemühen sich um eine Aussöhnung. Aber nicht alle Nachfahren der Opfer fühlen sich gut vertreten.

    Bis zuletzt gestritten wurde über die Höhe der Entschädigungszahlungen. Deutschland hat sich mit dem Abkommen nun verpflichtet, 1,1 Milliarden Euro zu zahlen. Das Geld soll über einen Zeitraum von 30 Jahren vor allem in Projekte in den Siedlungsgebieten der Herero und Nama investiert werden. Dabei soll es um die Förderung von Berufsbildung, Landwirtschaft, ländlicher Infrastruktur und Wasserversorgung sowie Landreformen gehen.

    Insbesondere die Besitzverhältnisse an Grund und Boden zeugen in Namibia bis heute von kolonialer Ausbeutung und Unterdrückung. Denn das zu Kolonialzeiten enteignete Land befindet sich noch immer überwiegend in der Hand von weißen Siedlern, viele von ihnen deutschstämmige.

    Warum haben die Verhandlungen so lange gedauert?

    Fast sechs Jahre dauerten die Verhandlungen um ein Versöhnungsabkommen zwischen der deutschen und der namibischen Regierung. Vertreter von Herero und Nama waren in die Verhandlungen eng eingebunden. In neun Verhandlungsrunden, die wechselseitig in Berlin und der namibischen Hauptstadt Windhoek stattfanden, näherten sich die Delegationen an. Verhandlungsführer auf namibisher Seite war Zed Ngavirue*, ein langgedienter namibischer Diplomat, auf deutscher Seite der CDU-Politiker Ruprecht Polenz.

    Dabei wurde zunächst lange um Formulierungen gestritten. Deutschland war zwar bereit, den Völkermord anzuerkennen, aber in einem Abkommen sollten keine Rechtsbegriffe genannt werden, die in irgendeiner Form vor einem Gericht justiziabel sein könnten - und aus denen sich möglicherweise Reparationsforderungen ableiten lassen könnten. Auch der Begriff Reparationen habe aus Sicht von Juristen als hochproblematisch gegolten, erläutert Dlf-Korrespondentin Christiane Habermalz, die die Verhandlungen von Beginn an begleitet hat.

    Gerhard Ziegefuß, pensionierter Biologielehrer, mit einem Schädel aus Namibia - geerbt von seinem Großonkel, einem Missionar in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika.

    Rückgabe von Kulturgütern an Namibia - Die schwierige Aufarbeitung kolonialen Unrechts
    Der ehemalige Lehrer Gerhard Ziegenfuß war Jahrzehnte im Besitz eines Schädels aus Namibia. Er wollte ihn zurückgeben – doch das war gar nicht so einfach.

    Die Bundesregierung habe einer "bedingungslosen Entschuldigung" an die namibische Regierung, ihr Volk und die betroffenen Gemeinden zugestimmt, wolle aber nicht den Begriff "Reparationen" benutzen, hatte Namibias Präsident Hage Geingob noch Mitte 2020 geklagt. Auch der Begriff "Heilung der Wunden" wurde als unzureichend abgelehnt.

    Man einigte sich schließlich unter anderem auf die Formulierung "Gräueltaten, die aus heutiger Sicht als Völkermord bezeichnet werden". Juristisch kann dies damit begründet werden, dass es den juristischen Begriff Völkermord Anfang des 20. Jahrhunderts, zum Zeitpunkt der Gräueltaten gegen die Herero und Nama, noch gar nicht gab. Erst 1948 beschloss die UN-Generalversammlung als Konsequenz aus dem Holocaust die "Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes" und machte Völkermord damit zum Straftatbestand.

    Die Konvention gilt aber nicht rückwirkend, deswegen ergeben sich für Deutschland aus der Anerkennung des Völkermords auch keine rechtlichen Konsequenzen. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund auch immer wieder betont, dass es aus ihrer Sicht keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung gibt. Dass sie nun trotzdem eine Summe von 1,1 Milliarden Euro zahlt, sieht sie als politisch-moralische Verpflichtung. Es sei eine "Geste der Anerkennung des unermesslichen Leids, das den Opfern zugefügt wurde", sagte Außenminister Maas.

    An diesen Formulierungen entzündet sich heftige Kritik. Herero-Aktivist Israel Kaunatjike sagte dazu

    im Deutschlandfunk , "das ist für uns keine Anerkennung als Völkermord. Das ist ein Versöhnungsvertrag oder eine gute Geste. Wir wollen, dass Herr Maas oder die Bundesrepublik Deutschland das ganz genau sagen, das war ein Völkermord. Das muss auch genauso stehen in diesem Vertrag."

    Wie wird das Abkommen bewertet?

    Die angebotenen Zahlungen seien "eine schockierende Offenbarung", "inakzeptabel" und ein "Affront gegen unsere Existenz", erklärten Vertreter des von der namibischen Regierung anerkannten Rates der Häuptlinge in einer Mitteilung (31.5.2021). Der "beleidigende Betrag" werde abgelehnt.

    Zwar begrüße der Rat die Anerkennung des Völkermords durch die Bundesregierung, das Schuldeingeständnis für die mehr als 100 Jahre zurückliegenden Gräueltaten und die geplante Bitte um Vergebung. Die Reparationsfrage müsse jedoch neu verhandelt werden, hieß es. Die geplante Unterzeichnung der Vereinbarung müsse verschoben werden.

    Zur finanziellen Thematik äußerte sich auch der in Deutschland lebende Herero-Aktivist Israel Kaunatjike im Dlf-Interview. Er bezweifelte, dass die zugesagten Gelder auch dort ankämen, wo sie hingehörten - nämlich in soziale Projekte in den Siedlungsgebieten der Herero und Nama.

    Der in Berlin lebende Herero Israel Kaunatjike (Hereros = südwestafrikanisches ehemaliges Hirtenvolk) spricht am 05.03.2014 in Berlin auf einer Pressekonferenz des Bündnisses "Völkermord verjährt nicht".

    Herero-Aktivist Israel Kaunatjike lehnt das Abkommen zwischen Deutschland und Namibia ab (picture alliance / dpa | Soeren Stache)

    "Wer soll denn überhaupt erst mal bestimmen, welche Projekte? Sind wir die Betroffenen oder ist es die nicht legitimierte namibische Regierung, die schon 30 Jahre von Deutschland Entwicklungshilfe bekommt? Wo sind diese Gelder hingeflossen? Die Projekte muss man mit den betroffenen Völkern verhandeln und nicht mit dieser namibischen korrupten Regierung", so Kaunatjike.

    Der Historiker Jürgen Zimmerer sagte in Deutschlandfunk Kultur , die finanzielle Unterstützung sei besser als die schlimmsten Befürchtungen. "Sie ist aber auch nicht so grandios", betone Zimmerer. "Es ist in etwa die gleiche Summe, die Namibia** in den letzten 30 Jahren als deutsche Entwicklungshilfe bekommen hat." Zwar sollten die 1,1 Milliarden zusätzlich zur Entwicklungshilfe gezahlt werden, doch wie hoch diese in den kommenden Jahren ausfallen würde, stünde ja noch nicht fest.

    Auch schon vor der Verkündung des Verhandlungsergebnisses hatten erste Hinweise auf das Abkommen bei einigen Vertretern der Herero und Nama Kritik ausgelöst. Es sei nichts weiter als ein PR-Coup Deutschlands und ein Akt des Betruges der namibischen Regierung, hieß es in einer Erklärung der Ovaherero Traditional Authority und Nama Traditional Leaders Association. Beide standen den Verhandlungen von Beginn an kritisch gegenüber. Die Chefs beider Organisationen, Vekuii Rukoro und David Frederic, hatten zwischenzeitlich versucht, auf gerichtlichem Weg ihre Beteiligung an dem Dialog auf Regierungsebene zu erzwingen. Vekuii Rukoro will weiter rechtliche Schritte prüfen, Deutschland zu Reparationszahlungen zwingen. Der Anwalt und frühere Generalstaatsanwalt Namibias versuchte Deutschland bereits vor Gerichten in den USA zu verklagen, allerdings ohne Erfolg.

    Den Ausschluss verschiedener Stimmen der Herero und Nama beklagten auch deutsche Beobachter. Die Anerkennung, dass die Gräueltaten Völkermord waren und die Entschuldigung hochrangiger Vertreter der Bundesrepublik in Namibia sei zwar wichtig,

    sagte der deutsch-namibischen Grünen-Politiker Ottmar von Holtz im Dlf . Es sei jedoch sowohl von deutscher wie von namibischer Seite der Fehler gemacht worden, "nicht von vornherein dafür zu sorgen, dass alle Stimmen gehört werden".

    Welche Folgen könnte das Abkommen haben?

    Das Aussöhnungsabkommen mit Namibia könnte Vorbild für weitere Vereinbarungen sein. Schließlich war das Deutsche Reich ab 1884 auch in anderen Gebieten Besatzungsmacht, etwa in Kamerun, Togo, Deutsch-Ostafrika (Tansania), im chinesischen Tsingtao und auf Pazifikinseln – in den meisten geschahen ebenfalls furchtbare Verbrechen.

    Das Abkommen wird international für einige Furore sorgen, meint Dlf-Korrespondentin Christiane Habermalz, und dürfte auch in anderen europäischen Ländern die Diskussionen über ihre eigene koloniale Aufarbeitung befeuern.***

    (Christiane Habermalz, Wulf Wilde, dlf, dkultur, dpa, afp, epd, kna, bpb)

    Korrekturhinweis:
    *) Der Name des Verhandlungsführers auf namibischer Seite wurde berichtigt.
    **) Hier wurde der Ländername korrigiert.
    ***) Die Wiedergabe einer Aussage unserer Korrespondentin wurde präzisiert.

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    Author: Julie Kelley

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