David Vélez wollte eine Alternative zu den hohen Gebühren und dem schlechten Service der brasilianischen Großbanken bieten. Heute ist die von ihm gegründete Nubank mit 35 Millionen Kunden die wertvollste Digitalbank der Welt. Doch Vélez will mehr.
Im Sommer 2012 zog David Vélez als frischgebackener MBA der Stanford University nach São Paulo. Er hatte seinen Traumjob bekommen: als Partner bei Sequoia Capital, einem der renommiertesten Venture-Capital-Unternehmen der Welt. Vélez sollte den brasilianischen Markt für Sequoia abdecken – ein Land mit 200 Millionen Einwohnern, das seit einem Jahrzehnt um 4 % pro Jahr wuchs und zur siebtgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen war. Wenige Wochen später, am 1. Oktober, war der Traum schon wieder vorbei: Sequoia-Chef Douglas Leone beendete die Brasilien-Expansion. Schwache Pitches brasilianischer Gründer sowie die Tatsache, dass die angesehene Universität in São Paulo im Jahr davor nur 42 Absolventen in Computerwissenschaften hervorgebracht hatte, waren für Leone nicht überzeugend.
Doch Vélez wollte schon immer ein eigenes Start-up gründen und sah eine Chance: „In den USA gibt es jede Menge gute Unternehmer – in Südamerika sind sie Mangelware.“ Es dauerte nicht lange, bis er seine Idee hatte: Brasiliens Großbanken mit ihren hohen Gebühren, schlechtem Service und fehlendem Wissen bezüglich neuer Technologien sollten neue Konkurrenz bekommen.
Weniger als zehn Jahre nach der Gründung zählt die von Vélez gestartete und in São Paulo ansässige Nubank 35 Millionen Kunden, bei einer Bewertung von 25 Milliarden US-$. Vélez, CEO von Nubank, hält einen Anteil von 23 %, dessen Wert Forbes mit 5,2 Milliarden US-$ beziffert. „Was gerade in Brasilien passiert, ist eine echte Revolution“, sagt Nigel Morris, Mitgründer der US-Direktbank Capital One und Nubank-Investor. Neben Morris sind andere namhafte Investoren an Bord, darunter Yuri Milner mit DST Global, Peter Thiel mit Founders Fund – und Douglas Leone.
Vélez, der 1981 in Kolumbien geboren wurde, erlebte hautnah, welche Herausforderungen Unternehmer lösen müssen: Die elf Geschwister seines Vaters sind hauptsächlich unternehmerisch tätig. Als Vélez neun Jahre alt war, zog er mit seinen Eltern und zwei Schwestern (beide ebenfalls Unternehmerinnen) nach Costa Rica. Dort baute Vélez’ Vater eine Knopffabrik auf – bereits in Kolumbien hatte er eine solche mit zwei seiner Brüder betrieben.
Der Unternehmer besuchte eine deutschsprachige Schule, graduierte als Klassenbester und wurde an der Stanford University aufgenommen, wo er Maschinenbau studierte und in die Start-up-Welt des Silicon Valley eintauchen wollte. Doch ihm kam keine eigene große Idee. Nach Stationen in Investmentbanking, Private Equity und Venture Capital landete er letztendlich im Haus seiner Eltern in Costa Rica,
von dem aus er seinen Angriff plante. Vélez ist ein ungewöhnlicher „Attentäter“: Er ist eher der Managertyp, meditiert und liest in seiner Freizeit gerne Romane (sein Lieblingswerk ist „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Gabriel García Márquez). Als er mit seiner Idee startete, kontrollierten fünf Banken – Itaú, Bradesco, Santander, Banco do Brasil und Caixa – 80 % des brasilianischen Marktes. Sie erzielten massive Gewinne, indem sie bei schlechtem Service Kredite zu hohen Zinssätzen vergaben und exorbitante Gebühren erhoben.
Als sich Anfang der 2010er-Jahre Breitbandinternet und Smartphones verbreiteten, sah Vélez seine Chance. „Es gab enorme Möglichkeiten, Branchen wie das Bankwesen auf den Kopf zu stellen – doch niemand hielt das damals für möglich. Nubank hätte niemals von einem Brasilianer gegründet werden können. Es brauchte einen Investor aus dem Silicon Valley, der die Geschichte von David gegen Goliath oft genug selbst erlebt hatte“, sagt er.
Vélez sprach monatelang mit Insidern und analysierte Digitalbanken wie Capital One in den USA und ING Direct in Europa. Nubank sollte mit Kreditkarten beginnen und dann in andere Bereiche expandieren. Technologie ermöglichte es, die Gebühren der großen Banken zu unterbieten. Seine erste Finanzierung bekam Vélez von seinem Mentor Leone – eine Million US-$. Weil er laut seinen Investoren jemanden mit Banking-Hintergrund im Gründerteam brauchte, holte Vélez Cristina Junqueira an Bord. Die 30-jährige Ingenieurin hatte ihren Job als Leiterin der Kreditkartenabteilung von Itaú gerade gekündigt. Der Dritte im Gründerteam war der US-Amerikaner Edward Wible,
ebenfalls 30 Jahre alt und für die Technologie verantwortlich.
David Vélez
...wurde in Kolumbien geboren und studierte später Maschinenbau an der Stanford University. Nach Stationen in Investmentbanking, Private Equity und Venture Capital gründete er 2014 die Digitalbank Nubank in São Paulo.
2014 startete Nubank mit Kreditkarten – einen Service, für den brasilianische Banken zwischen 200 % und 400 % Zinsen pro Jahr verlangen, bot das Start-up kostenlos an. Es ist ein riesiger Markt: 2019 machten die Kreditkartengebühren laut einer JP-Morgan-Analyse fast 40 % der Einnahmen der brasilianischen Banken aus, verglichen mit 15 % bis 20 % bei Banken in Mexiko, Argentinien, Peru und Chile.
Auch die Rezession, in die Brasilien Ende 2014 rutschte, bremste das Wachstum der Digitalbank nicht. Bereits 2016 hatte Nubank eine Million Kreditkartenkunden. Vélez wollte Gas geben: Im Dezember desselben Jahres schloss er eine Finanzierungsrunde in der Höhe von 80 Millionen US-$ ab. Laut dem Datenanbieter Pitchbook haben alle anderen brasilianischen Start-ups 2016 340 Millionen US-$ Risikokapital eingesammelt. Vélez stellte Hunderte Techniker ein und eröffnete ein Büro in Deutschland, um Zugang zu weiteren Talenten zu erhalten.
Im Mai 2017 erhielt das Unternehmen – nach einem Dekret des Präsidenten – dann endlich seine Banklizenz. Innerhalb von fünf Monaten hatten 1,5 Millionen der insgesamt vier Millionen Kreditkartenkunden auch ein Konto. 2019 generierte das Unternehmen einen Umsatz von 523 Millionen US-$ – der Verlust betrug 78 Millionen US-$. Dann kam die Pandemie: Wie andere Fintechs profitierte die Nubank stark, da nun sogar ältere Brasilianer ihre Bankgeschäfte über Smartphones oder das Internet abwickelten. Im Jahr 2020 verdoppelte sich der Umsatz nahezu auf 963 Millionen US-$, während sich die Verluste auf 44 Millionen US-$ verringerten.
2019 expandierte das Unternehmen nach Argentinien und Mexiko, letztes Jahr nach Kolumbien. Vélez hat jedoch keine Pläne, in die USA
zu gehen. Einen Börsengang dort zu starten sei jedoch eine Option, sagt Vélez – hauptsächlich zu „Marketingzwecken“. Er hat aber keine Eile: „In Südamerika muss man immer in Fußballanalogien sprechen. Und da befinden wir uns gerade in der ersten Sekunde der ersten Minute der ersten Hälfte des Spiels“, sagt Vélez.
Text: Jeff Kauflin, Forbes US
Fotos: Gabriel Rinaldi, Forbes US
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 4–21 zum Thema „Geld“.
Author: Alex Pacheco
Last Updated: 1702513321
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