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Ich kann sehen, wie gut Recruiting ist und wie schlecht es ist


Machen Sie sich hübsch für den Nachwuchs (Bild: Haus am Meer)

Ich hatte mich an dieser Stelle ja schon einmal über den Pfeil nach oben in Beratungslogos aufgeregt (›Das Kreuz mit dem Pfeil‹). Und was ist ein Kompass anderes als ein Pfeil, der in eine Richtung zeigt?

Womit wir bei Bain & Company wären, deren Kompass dorthin zeigt, wo Beraterpfeile immer hinzeigen: Nach ganz oben!

Das Nachwuchsproblem ist allgegenwärtig

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Der Beratungsbranche im Speziellen geht es wie der Bundesrepublik im Allgemeinen – sie hat ein Nachwuchsproblem. Zu wenig junge, gut (aus-)gebildete Menschen haben wollen rein, zu viele, die bereits drin sind, wieder raus. Das sehen wir auch in unserem Agenturalltag: Inzwischen ist jeder zweite unserer Kunden einer dieser Menschen, studiert, durchaus schon mit ein paar Jahren Branchenerfahrung in renommierten Beratungshäusern und ein paar ansehbaren Kunden, der sich bei uns meldet und sagt: »Ich hab keinen Bock mehr, ich mach mich selbständig.«

„Klares Profil für eine neue Generation“

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Schmerzverliebt

Zu tranig, zu behäbig, zu sehr top-down kommen sie daher, die großen Beratungshäuser, als unflexibel gelten sie und unmodern. Die Faxgeräte der deutschen Wirtschaft, quasi.

A propos Fax: Bei Bain & Company ist man zum Glück weiter und versendet E-Mails. Eine ebensolche traf die Redaktion von Consulting.de unvermittelt und kündete von einer neuen Kampagne, mit der Bain den attraktiven Nachwuchs auf sich aufmerksam machen möchte.

Die E-Mail selbst liest sich wie das übliche Werber-Blabla (hinter der Kampagne steckt übrigens Serviceplan) mit den ausgeleiterten Buzzwords der letzten Dekade: »Wir sind überzeugt, dass sich mit selbstbewussten Schritten die Zukunft definieren lässt. So treiben wir außergewöhnliche Veränderungen voran.« – »Klares Profil für eine neue Generation.« – »Gesucht werden Persönlichkeiten, die an Zukunftsthemen arbeiten und alte Denkmuster durchbrechen möchten.« Ja, ja. »You never walk alone«, möchte man ausrufen, das wird »sehr, sehr, sehr gut«.

Die Kampagne an und für sich

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Glasperlenspiel

Diese Phrasen sind schnell durchschaut, aber es handelt sich ja auch nur um ein Begleitschreiben. Betrachten wir lieber die Kampagne selbst, die unter der Überschrift ›Go Bold.‹ (mit Interpunktion) läuft, und sehen, dass man da einiges lernen kann. Denn die Beratungsunternehmung, die so heißt wie ein Batman-Bösewicht (ich weiß, der schreibt sich ›Bane‹, ist aber trotzdem lustig!), hat tatsächlich einiges erfrischend richtig gemacht. Wohlgemerkt einiges, nicht alles.

›Go Bold.‹ soll nicht bedeuten, dass man bei Bain schnell eine ganze Menge Pfunde zulegt, sondern so viel heißen wie ›werde mutig‹ und man fragt sich, was ist das für eine Firma, bei der sich zu bewerben Mut erfordert.

Aber es ist schnell gecheckt, dass das nicht so gemeint ist, sondern dass Bain & Company wohl einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt, an dem man durchaus auch mal mutig sein darf. Insofern trifft man hier den Nerv der Angesprochenen schon ganz gut. Und da man es mit jungen Talenten zu tun hat, ist ein PR-Desaster wie Douglas’ ›Come in and find out‹, das viele Befragte als ›Komm rein und finde wieder raus übersetzten, nicht zu befürchten.

Die Bilderwelt hat mit der Arbeit leider nichts zu tun

VIDEO: Bo Andersen - Mitten ins Herz (1992) (GZSZ Titelmusik)
Кевин Бава

Ein bisschen schade, dass die Fotomotive in hipster-mäßiger Krisseligkeit ein paar geschätzt Mittzwanziger bei allem möglichen zeigen, was mit tatsächlicher Arbeit wenig zu tun hat: Es wird Fahrrad gefahren, gebouldert, zusammen Kaffee getrunken oder irgendwie in die Ferne geguckt, wie es Christina Aguilera macht, wenn sie so tut, als wäre ihr der Text, den sie jodelt, total wichtig. Als handele es sich um Werbung für ein Jugendzentrum.

Die Menschen tragen Nasenringe, unterschiedliche Hautfarben und angesagte Frisuren. Dabei schafft man es jedoch, dass die Motive nicht verkrampft auf Diversität gebürstet sind, sondern wirken, als hätte man auf der Einweihungsparty im Studentenheim der Privatuni Einwegkameras herumgehen lassen.

Wenn ich mich mal der Scholz’schen Verdreifachung bedienen darf: Endlich, endlich, endlich mal authentische Authentizität! Oder, anders: Ich sehe vielleicht keine echte Arbeitssituation, aber tatsächlich mal echte Menschen. Schön, das!

Die Bainies fotografierten selbst

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MIX

Diese Authentizität erreichte man indem man etwas ebenso Naheliegendes wie Geniales tat: man ließ die tatsächlichen Angestellten, im Firmen-Slang ›Bainies‹ genannt, fotografieren. Dadurch entsteht eine Ästhetik, die auf natürliche Weise an Instragram oder TikTok erinnert – wo man den Nachwuchs wähnt. Ob er da wirklich ist, wird sich zeigen, aber bis hierhin bin ich aufrichtig begeistert, das geht auch anders (›Hilft Selbstironie beim Recruiting von Beratenden?‹).

Zahnschmerzen bei den Texten

VIDEO: Viveca - Mitten ins Herz (1996) (GZSZ Titelmusik)
Кевин Бава

Dafür zahnschmerzt es doch sehr bei den Texten. ›We champion the bold to achieve the extraordinary‹ sagt Bain von sich selbst, und man hört bereits erwähnten Olaf Scholz hinzufügen: ›You never walk alone.‹

Die Taglines auf den Kampagnenmotiven lesen sich ganz ähnlich hohl: ›New ground beats comfort zone‹, ›Belonging beats fitting in‹ und ›Room to grow beats office space‹. Wo die Authentizität ganz schnell einer schillernden Seifenblase weicht, die beim ersten Hindenken zerplatzt: Ganz abgesehen, dass dieses Englisch für Menschen mit Toefl-Test auf Mensa-Niveau getextet ist, steckt da wenig drin.

Ein Problem, das auch viele unserer Kunden haben, die längst nicht die (finanzielle) Power von Bain & Company haben, ist die offenkundige Ratlosigkeit in der Ansprache junger Talente, was dann eben zu solchen und ganz ähnlichen Stilblüten führt.

Wenn ich Ihnen für Ihr Recruiting also drei Dinge raten darf:

VIDEO: GZSZ Vorspann und Abspann
Laura B.R

Erstens: Seien Sie nicht nur ehrlich, sondern aufrichtig. Sie legen Wert auf Krawatte oder Business-Kostüm? Dann zeigen Sie sich und Ihre Angestellten nicht in Freizeitkleidung. Junge Menschen haben keine Allergien gegen Windsor-Knoten und Schluppenblusen.

Aber wer regelmäßig mit Instagram und TikTok umgeht, entwickelt eine präzise Antenne für Bullshit.

Zweitens: Verstehen Sie, dass Sie sich bei potenziellen Bewerbenden bewerben. Zeigen Sie nicht nur, dass bei Ihnen auch mal gekocht wird oder man nach Feierabend zusammen bowlen geht.

Die Leute suchen Jobs, keine Freundeskreise.

Dass es am Arbeitsplatz auch bunt und kollegial und lustig zugeht, ist zwar wichtig. Es geht aber auch um Aufstiegschancen, Bezahlung und fairen Umgang während der Arbeitszeit. Nehmen Sie das ernst!

Und versprechen Sie Drittens nichts, was Sie nicht halten können. Machen Sie keine Videos, in denen Sie tanzen (TikTok), wenn Sie kein Tanzstudio sind. Bieten Sie dem Nachwuchs lieber eine Viertagewoche. Oder übernehmen Sie den Yogakurs nach Feierabend. Oder wasauchimmer.

Aber tun Sie nie, nie, nie, nie, niemals so, als wären Sie der coolste Arbeitgeber der Welt. Das sind Sie nicht. Und das müssen Sie auch gar nicht sein!

Oh – und suchen Sie sich eine Agentur, die ein wenig Ahnung von Ihrer Branche hat! Sonst kommt Batman und – Piff!, Paff!, Puff! – war’s das mit dem Nachwuchs!

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Author: Kenneth Barnes

Last Updated: 1703492281

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Name: Kenneth Barnes

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Job: Article Writer

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